Zwei Auftragswerke für größere Besetzung – jeweils Sextette – waren für mich der künstlerische Höhepunkt der vergangenen drei Jahre.
Es war, wenn ich mich richtig erinnere, am Ende des Jahres 2020, als mich der Bratschist Guy Speyers, Leiter des Vorarlberger ensemble plus, fragte, ob ich nicht für ein im Herbst 2021 geplantes Konzert ein Ensemblestück komponieren möchte. Er schlug die Besetzung Flöte, Klarinette, Trompete und Streichtrio vor. Mit Freude willigte ich ein, denn eine solche Gelegenheit bietet sich nicht alle Tage. So entstand zwischen Februar und Juni 2021 Nachtschattengewächse für die oben genannte Besetzung. Für das Programmheft verfasste ich einen kurzen Einführungstext zu diesem dreisätzigen Stück, der dann wegen eines drucktechnischen Fehlers nicht seinen Weg ins Programmheft fand. Gerne hole ich das nach.
Nachtschattengewächse
Nacht: Der Mittelsatz erhält durch die Besetzung mit Altflöte und Bassklarinette (und das Fehlen der „strahlenden“ Trompete) einen dunkel gefärbten und nächtlichen Charakter.
Schatten: Geräusche und geräuschhafte Klänge stehen für die Schatten von Tönen und reinen Klängen, besonders deutlich wird dies im Finalsatz.
Gewächse: Beim Komponieren eines Musikstückes ist die Vorstellung des Wachsens für mich bedeutsam. Aus der zugrundeliegenden Struktur – einigen dürren Ästen – entstehen durch Verästelungen, Verzweigungen, Blüten und Früchte (als Farbtupfer) lebendige musikalische Gewächse.
Silvia Thurner hat in der online-Ausgabe der Zeitschrift KULTUR das Werk wie folgt besprochen.
Der Titel „Nachtschattengewächse“, den Michael Amann für sein Sextett für Violine (Michaela Girardi), Viola (Guy Speyers), Violoncello (Jessica Kuhn), Flöte (Anja Nowotny-Baldauf), Klarinette (Hauke Kohlmorgen) und Trompete (Roché Jenny) gewählt hat, war zugleich auch Inspirationsquelle für die musikalische Themenbildung des Werkes.
In drei Abschnitten setzte der in Wien lebende, 1964 in Vorarlberg geborene Komponist das Wachsen und Erblühen von Pflanzen in Analogie zur Musik und sich herauskristallisierenden Klangfarbenmustern. Zuerst fügten sich hingetupfte musikalische Ereigniseinheiten zu chromatischen Linien. Sie kündigten mit Imitationen in der Klarinette und Flöte eine Kantilene des Violoncellos an, die alsbald in der Trompete einen resoluten Abschluss fand. Kurze Linien und rufartige Motive bildeten im Mittelteil ein Wechselspiel zwischen aufragenden Gesten in Flageolettklängen und nach unten ziehenden Phrasen, die den Klangfluss erdeten. Was im vorherigen Abschnitt in die Vertikale strebte, breitete sich im dritten Teil in die Horizontale aus. Die Trompete, mit Dämpfer gespielt, fügte sich dabei als Klangfarbe sehr schön in das Gesamtgefüge ein. Insbesondere die in die „Dreidimensionalität“ zielenden Passagen lenkten im filigran verwobenen Klanggeschehen die Aufmerksamkeit auf sich.
Die Arbeit mit dem Ensemble und die beiden Aufführungen am 8. und 9. Oktober 2021 (UA in Bregenz, einen Tag später die zweite Aufführung in Bregenz) war äußerst angenehm und auch erfolgreich.
Ich danke dem Dirigenten Thomas Gertner und den Musikerinnen sehr herzlich für die schöne Umsetzung meines Stückes – und auch die Geduld bei wichtigen Änderungen in der Dynamik: was die Lautstärke der Instrumente betrifft, habe ich manches Mal immer noch falsche Vorstellungen, diese konnten bei den letzten Proben noch korrigiert werden.
Der zweite Auftrag für ein Ensemblestück kam von René Staar, dem künstlerischen Leiter des Ensembles Wiener Collage. Für das jedes zweite Jahr stattfindende Weihnachtskonzert des Ensembles bat er mich, ein Stück beizutragen. Mit großer Freude sagte ich zu, handelt es sich doch beim EWC um ein renommiertes Spitzenensemble für Neue Musik. So entstand das Concertino fatto per la notte di natale für Rezitation, Saxofon, Klavier, Akkordeon, 2 Violinen und Cello, welches am 13.12.2023 im Arnold-Schönberg-Center uraufgeführt wurde.
Für das Programmheft schrieb ich im Dezember 2022 einen Einführungstext, der die Hintergründe der Entstehung darstellt.
Das Concertino fatto per la notte di natale entstand im Juli und August dieses Jahres. -
Im Sommer ein Weihnachtsstück zu komponieren, ist eine ganz spezielle Herausforderung. Einige Ideen und Skizzen entstanden, diese wurden wieder verworfen und ließen mich ratlos zurück.
Plötzlich stand es vor mir, das Bild mit der Krippenszene: jede der Figuren spielt ein Instrument – und ein Kunstexperte erläutert mit erhellenden Reimen dem staunenden Publikum, was zu sehen ist, ehe die Klänge der Instrumente zu hören sind.
Kaum war dieses Bild vor mir, konnte ich auch schon beginnen, mit eigenen Augen und Ohren den Kommentator und die einzelnen Figuren zu verfolgen und dann das Gehörte aufzuschreiben: So entstand das vorliegende Concertino.
Die Rolle des Strohs am Schluss der Betrachtung ist in den allermeisten Darstellungen und Deutungen des weihnachtlichen Geschehens bislang wenig bis gar nicht gewürdigt worden, was in meinen Augen und Ohren ein bedauerliches Versäumnis darstellt. Aber sehen und hören Sie selbst.
Den ironischen Krippenszenen-Text habe ich selbst verfasst, er beginnt mit einem sehr bekannten Zitat:
Ich steh an deiner Krippen hier,
Sankt Joseph spielt auf dem Klavier.
Und auch die Hirten sind dabei,
sie spielen Violine eins und zwei.
Auf dem Akkordeonisten-Kasten
drückt der Esel sanft die Tasten.
Der Ochse zupft mit seinem Schwanz
das Cello voller Eleganz.
Horch, wie Mariens Sax ertönt
und dadurch die Idylle krönt.
(und Joseph stöhnt...)
Und am Ende des Konzerts
hüpft des Jesukindleins Herz.
Selbst im Krippelein das Stroh
war so froh... oder so...
und floh... oho...
Das durchinszenierte Konzert mit etlichen Uraufführungen ergab einen wunderbaren Bogen mit ergreifenden, berührenden, heiteren und erstaunlichen Momenten. Alle Musikstücke wurden vom Dirigenten René Staar und den Musiker*innen des Ensembles hervorragend interpretiert. Ich bedanke mich herzlich für diesen wunderbaren Rahmen und für die Gelegenheit zur Komposition.
Am Ende des Jahres 2022 komponierte ich ein Stück Vokalmusik mit Ensemblebegleitung: so weiß ich nicht wer das ist der mich spricht… für Bariton und Bassklarinette, Posaune und Cello. Der Text stammt von semier insayif und ist einem “Sonettenkranz“ dieses Schriftstellers entnommen. Die Vertonung ist mir nicht leicht gefallen: Die Texte sind gespickt mit erotischen Anspielungen, bleiben insgesamt sehr kryptisch und haben es mir schwer gemacht, mich mit dem Inhalt zu identifizieren. Ich habe versucht, diese Nicht-Greifbarkeit durch eine großteils flüchtige und instabile Musik darzustellen – ich bin mir allerdings nicht sicher, ob ich dadurch dem Text gerecht geworden bin. Jedenfalls herzlichen Dank an das ensemble reconsil unter der Leitung von Antanina Kalechyts für die musikalisch hochwertige Interpretation meines Notentextes. Die Uraufführung des Stückes fand am 27.1.2023 in der Alten Schmiede statt.
Eine weitere Uraufführung in der Alten Schmiede ging am 14. April 2023 über die Bühne. Für den italienischen Hornisten Paquito Ernesto Chiti komponierte ich das Solostück Lullaby For A Fox Cub. Meine Vorstellung dazu war folgende: Ein Fuchsjunges hat auf einem großen Feld im letzten Moment Deckung gefunden und die Jagdgesellschaft braust auf ihren Pferden über es hinweg. Der letzte Reiter wird des jungen Fuchses gewahr, bleibt stehen und betrachtet das verängstigte und schwer atmende Tier. Aus Mitleid tut er dem Tier aber nichts zuleide, er reitet weiter und schließt wieder an seine Jagdgesellen an. Musikalisch sind in dem Stück Jagdhorn-Fanfaren, Zitate aus „Guten Abend, gut Nacht“ von J. Brahms und Erweiterungen, Abweichungen, Verzweigungen dieser Elemente miteinander verwoben. Herzlichen Dank an Alejandro del Valle-Latanzio, der diesen Beitrag zu einem Horn-Solorezital angeregt hat und an den virtuosen Interpreten Paquito, der hoffentlich Freude mit diesem Stück hatte.
Das Vierte Streichquartett erlebte im Sommer 2022 seine Uraufführung. Bei der Konzertreihe Zeitklang im Museum des Wiener Concert-Vereins interpretierte ein Quartett aus Stipendiaten dieses Ensembles der Wiener Symphoniker dieses Stück mit hohem Können und großem Engagement. Die Konzertreihe bildet mittlerweile einen Fixpunkt im Bregenzer Kultursommer und ich freue mich, dass ich schon bei mehreren Konzerten in mehreren Jahren in den Programmen vertreten war.
Hier Silvia Thurners Besprechung in der online-Ausgabe der Zeitschrift KULTUR:
Michael Amanns 4. Streichquartett brachten Gabriel Karger, Dominika Witowicz, Katharina Plankensteiner und Sebastián Mendoza zur Uraufführung. Fein verwobene Texturen und unterschiedlich dicht geschichtete Tonaggregate stellten die Gegensätze dar, innerhalb derer organisch wirkende Klanggebilde ausgestaltet wurden. Die jungen Musiker:innen spielten die filigran gesetzten Klänge, die in nuancierten Schattierungen und Konstellationen zueinander in Beziehung gesetzt wurden, sehr genau aufeinander abgestimmt. Dass sich Michael Amann von Naturbeobachtungen inspirieren ließ, war in seinem 4. Streichquartett gut nachvollziehbar, etwas illustrativ wirkten deshalb die eingebundenen Vogelgesänge.
Auch das Ensemblestück Luftgeister, mit denen ich meine letzte Rückschlau beendet habe, erlebte im Oktober 2021 – nach einer weiteren „Corona“-Verschiebung – doch noch seine Uraufführung im Alten Rathaus in Wien. Dem hingebungsvoll musizierenden Ensemble danke ich für seine Interpretation.
Auch Irrlichter (2021), Klariline (2023) und Stille Zeit (2023) sind in den vergangenen drei Jahren entstanden. Die Uraufführungen sind schon geplant, weswegen der Bericht über die Entstehung dieser Stücke mit einem Blick in die Zukunft verbunden ist.
Für Kaori Nishii entstand das Klavierstück Irrlichter. Es bedeutet eine große Ehre für mich, dass Kaori mich um ein Stück bittet, sie ist allseits für ihre gleichermaßen präzise, hochmusikalische und engagierte Interpretationen bekannt.
Die Uraufführung ist für Dezember geplant, eine weitere Aufführung soll im Februar 2024 erfolgen.
Im Februar 2024 ist ein Portraitkonzert in der Alten Schmiede anlässlich meines 60. Geburtstages geplant. Alejandro del Valle-Latanzio, der Kurator des Programmes, hat mir eine Trio-Besetzung vorgeschlagen und es ist mir gelungen, ein Dream-Team dafür zu gewinnen: Weiping Lin an der Violine, Stefan Neubauer an der Klarinette und Kaori Nishii am Klavier.
Weiping Lin, Geigerin beim RSO und vielfach gefragte Interpretin für Neue Musik wird Maze (2003) für Violine und Klavier wieder spielen, sie hat es 2004 uraufgeführt und später auch auf CD eingespielt. Ihr nuancenreiches und farbiges Spiel ist mir bestens in Erinnerung, so blicke ich mit Freude dieser Aufführung entgegen.
Stefan Neubauer konnte ich dafür gewinnen, das Solostück Kassiber (2011) zu spielen. Er hat es in Italien uraufgeführt, mehrmals wieder gespielt und schließlich auch für seine CD Solitary Changes 2 (2021) aufgenommen und veröffentlicht. In Folge dieser Veröffentlichung wurde diese neue CD in einer Zeitton-Sendung auf Ö1 vorgestellt. Stefan ist Klarinettist beim Bühnenorchester der Wiener Staatsoper und beschäftigt sich auch schon jahrzehntelang mit allen Facetten der Neuen Musik. Viele Stücke wurden für ihn komponiert und er genießt einen ausgezeichneten Ruf als Interpret und Klangtüftler.
Eigens für den geplanten Portraitabend komponierte ich ein Duo für Violine und Klarinette, Klariline. Das Stück ist nicht ganz neu: Es ist eine Instrumentalfassung des Sonetts 60 für Sopran und Violine von 2013. Die Geigenstimme habe ich unverändert gelassen und die Gesangslinien der Klarinette übertragen, naturgemäß mit ein paar Änderungen. Und der neu gewählte Titel – eine Verschmelzung von „Klarinette“ und „Violine“ – soll die Absicht verdeutlichen, die beiden Instrumente als eines zu sehen und zu hören, auch wenn sie Verschiedenes spielen.
Auch das allerneueste Stück, Stille Zeit für Violine, Klarinette und Klavier ist für den Portraitabend und damit für Weiping, Stefan und Kaori komponiert. Es ist eine Art Fantasie über Cesar Bresgens Liedmelodie „O, du stille Zeit“. Das Lied wird in der Mitte des Stückes auch fast vollständig zitiert. – Es muss in der ersten oder zweiten Klasse Gymnasium gewesen sein, als wir im Musikunterricht mit Prof. Walfried Kraher dieses Lied gesungen haben. Es hat in meiner Erinnerung eine so starke Wirkung gehabt, dass ich mich stärker der Musik zuwandte, so wurde ein Grundstein für mein Dasein als Komponist und Musikerzieher gelegt. Später war Walfried auch im Musikgymnasium mein Lehrer, er förderte und ermutigte mich immer sehr. Er brachte als Organist meine Orgelsonatine (1982) zur Uraufführung. Es ist nicht alltäglich, dass ein Lehrer ein Stück seines achtzehnjährigen Schülers spielt. Ich möchte Stille Zeit seinem Andenken widmen – schade nur, dass er das nicht mehr erleben kann bzw. schade, dass ich nicht früher auf diese Idee gekommen bin. Aber der Lauf der Zeit lässt sich nicht umstellen.
Stille Zeit ist ein recht einfaches Stück. Ich habe es sehr rasch skizziert, um mich nicht zu früh in Details zu verheddern und damit den Fluss der Musik aus den Augen und Ohren zu verlieren. In einer zweiten Fassung und in der abschließenden Reinschrift habe ich nur mehr wenig geändert bzw. hinzugefügt, sondern die Musik in ihrer Schlichtheit stehen gelassen.
Vendetta mortale ist ein Musical-Krimi, den ich für meine Schüler*innen verfasst habe, der Text dazu stammt von meinen Kolleginnen Hemma Chocholka und Barbara El Juaneh. Das Stück wurde bereits 2018 komponiert, die Aufführung war für 2020 geplant, aber die Corona-Lockdowns machten diesem Vorhaben einen Strich durch die Rechnung. In diesem Jahr, am 27. April, konnten wir die Aufführung endlich nachholen. Wie immer, hat die Produktion den Schüler*innen großteils Freude bereitet und wird hoffentlich eine bleibende Erinnerung an ihre Schulzeit sein.
Und abschließend möchte ich von einer erfreulichen Aufführung meines Klavierstückes Talisman (2019) berichten: Bei den Tagen der Neuen Klaviermusik Graz spielte die Pianistin Maria Flavia Cerrato dieses kurze Stück, das ich bei einem Call for Scores der ÖGZM eingereicht hatte und welches die Jury zur Aufführung ausgewählt hat. Maria Flavia Cerrato hat das Werk sehr feinsinnig interpretiert, was besonders bemerkenswert ist, wenn man bedenkt, dass sie sich als Einspringerin in kürzester Zeit damit vertraut machen musste.